Etwas ganz Besonderes ist es, einen Heinzelcheesetalk von Ursula Heinzelmann in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg zu besuchen.
Dieses Mal fand er zusammen mit Walter Britz statt, der samstags einen Stand namens Umami Japan in der Markthalle führt.
Traditionell wurde mit PetNat-Bubbles von Janson-Bernhard gestartet und den grossen Durst wurde mit Xa-relo von Albet i Noya aus dem Penedès gestartet, während Walter in die rudimentären Grundkenntnisse des Sake einführte:
- Je geschliffener der Reis, desto eleganter der Sake
- Je höher der Nihonshudo-Wert (oder Sake Meter Value, SMV), desto trockener der Sake
- Je frischer der Sake, desto besser
- Unpasteurisierter Sake ist etwas ganz Besonderes
An Käse hatte Ursula eine möglichst breite Auswahl mitgebracht (ohne die Sake vorher probiert zu haben), damit auch sie, mit allen anderen Teilnehmenden erkunden konnte, wie ganz verschiedene Stile, Texturen und Reifegrade auf die Reisweine reagieren würden.
Und dann ging es los:
Aurélie, ein relativ frischer Ziegen-Rohmilchkäse von Karditstel aus Belgien, Crémeer, ein ganz leicht rotgeschmierter Kuh-Rohmilch-Weichkäse von Backensholz aus Schleswig-Holstein, und nochmals ganz anders, 15 Monate kristallin und konzentriert gereifter Kuh-Rohmilch-Hartkäse von der Alpe Loch im Bregenzerwald.
Dazu in den Gläsern Tsukasa Botan Extra Dry, ein Junmaishu aus Kochi, 15,4 % Alkohol und ein SMV von +8 liessen diesen Extra Dry für Weintrinker immer noch sehr rund und weich erscheinen. In etwa erinnerte er an süssen Hefeteig, Hefebrand und Trester, mit feinen getrockneten Fruchtnoten am Gaumen, wunderbar balanciert und streichelweich. Die Meinungen zum Käse gingen am Tisch auseinander. Für manche drängte der Sake die frische Säure der Aurélie etwas in den Hintergrund, für andere dominierte die cremige Textur des Crémeer den Wein – doch am meisten erstaunten Zuspruch fand das Zusammenspiel des würzigen Alppanoramas des Alpe Loch mit Umami-Würze und Fülle.
Es folgte der ausgesprochen elegante Fuga aus Nada, ein Junmai Daiginjo (16 % und SMV -2, also einen Tick süsser, was sich aber eher in mehr Fülle und etwas stärker wahrnehmbaren Alkohol äusserte). Dazu gab es den Pyrenäenkäse, ein fester Schnittkäse aus Schafsrohmilch von Norbert Fischer aus Langenburg im Jagsttal, und wesentlich festeren 12-monatigen Mimolette aus Nordostfrankreich, dessen Rinde von Milben bestimmt ist. Der Fuga wirkte herzhafter im Duft, erinnerte an getrocknete Pilze und Wald und liess den Pyrenäenkäse zuerst etwas scheu erscheinen. Doch dann erinnerte sich der Käse an die eigene Fülle der Schafsmilch und zeigte nach hinten seine wunderbare, runde Säure, und die beiden verstanden sich prächtig. Was auch der Grundtenor der Gruppe zum Mimolette war – ganz erstaunlich, wie sich dessen sehr glatte Struktur doch voll und ganz mit dem Wein verband.
Der dritte Sake war der eigentliche Grund dieses Abends, mein Aha-Erlebnis. Walter hatte extra für die Gruppe die letzten beiden Flaschen des Urakasumi aus Kochi aufgehoben, der als umpasteurisierter Junmaishu Namazake eingeflogen wird und sich nur begrenzt hält. 17 %, SMV +1 – und einfach köstlich, da von einer unglaublichen geschmacklichen Komplexität. Süsse, ja, aber gleichzeitig auch so viele herzhafte Noten, ganz entfernt liesse sich an ganz grosse, gereifte Oloroso Sherry denken, und die allerbesten, aller gereiftesten Trockenbeerenauslesen – und doch wieder ganz anders. Beim Käse tauchten wir dazu richtig in die Fülle der Schafsmilch ein, deren Konzentration an Protein, Fett und Mineralstoffen von Natur aus beinahe doppelt so hoch ist als bei Kuh- oder Ziegenmilch. Zum Auftakt ein ganz frischer, quarkiger Brebis-Frischkäse, einfach nur als Referenz für den täuschend „frisch“ wirkenden, 10 Monate im Ziegenfell gereiften Erzincan Deri Tulum Peynir aus Nordost-Anatolien (ein Konzentrat an mineralischer Würze, muskulöser Säure, Dichte). Ausserdem hatte ich Hölzig Schaf vom Schweizer Grossmeister Willi Schmid aus dem Toggenburg mitgebracht, ein ausdrucksvoller geschmierter Rohmilch-Weichkäse, der wie ein Vacherin Mont d’Or im Fichtenring reift und deutlich von den harzigen Aromen geprägt wird. Es waren eindrucksvolle Begegnungen, die sowohl beim Erzincan Tulum als auch beim Hölzig Schaf absolut auf Augenhöhe stattfanden.
Schliesslich nochmals ganz anders: mit dem Harushika Tokimeki hatte Walter einen modernen, alkoholleichteren (6 %), deutlich süssen (SMV -80?!) und perlenden Sparkling Junmaishu aus Nara mitgebracht, mit den für diese Region typischen Nara-Hirschen auf dem Etikett und in Süsse und Balance ähnlich einer ganz jungen Riesling Beerenauslese. Dazu wurden zwei Blauschimmelkäse gereicht, beide aus Kuh-Rohmilch: den Friesisch Blue von Backensholz und das wirklich allerletzte Stück des Rogue River Blue von David Gremmels und seiner Rogue Creamery im Süden von Oregon an der Pazifikküste. Ersterer etwas fester und leicht rotgeschmiert, an Tilsiter und Danish Blue angelehnt, letzterer cremigdicht, kristallin und würzig, mit der Süsse der in Birnenbrand eingelegten Weinblätter, in denen er ein Jahr lang reift. Beides gefiel, und alle waren sich an diesem Abend einig, dass diese Kombinationen in kleiner Dosis als Abschluss eines prächtigen Menüs perfekt wären: Käse und Süsses zugleich.
Auf alle Fälle zeigte diese intensive Erkundung, wie gut (guter) Sake mit (gutem) Käse harmoniert, und wieviel, es zu entdecken gibt. Theoretisch war ich vorher schon überzeugt gewesen, daß Milchsäure und Umami auf beiden Seiten sich gut verstehen würden, praktisch war es einfach nur fantastisch. Dank an Ursula und an Walter – dass sie uns an einem solchen Experiment haben teilnehmen lassen! Zum Schluss zauberte Walter noch eine Zugabe aus dem Koffer: den Songen Junmai Namazake aus Ishikawa (15 %, SMV +3) ebenfalls unpasteurisiert, eine Idee trockener als der Urakasumi – und mein absoluter Liebling.
HeinzelCheeseTalks finden rund einmal im Monat an einem Freitag um 18 Uhr in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg statt, an dem langen Tisch gegenüber vom Suff-Weinstand. Ursula Heinzelmann bringt spannende Käse mit, öffnet ein paar Flaschen Wein. Es wird verkostet, geredet, diskutiert – alles ganz entspannt. Die Einladung geht etwa 10 Tage vorher an alle Abonnenten, die 16 Plätze am Tisch werden auf Reservierung per Email vergeben, die dann am Samstag vor dem HeinzelCheeseTalk schriftlich bestätigt wird. Ursula freut sich über einen freiwilligen Kostenbeitrag von 15 Euro pro Käsegeniesser (bar am Ende des Abends), wenn’s extra viel Spass gemacht hat, dürfen es auch immer ein oder zwei Euro mehr sein… cheesio!